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Fanfiction

Frühling

Zu Beginn dieses Frühlings war ich – wie fast jede Schülerin auf Hogwarts – verliebt in Sirius Black. Man munkelte, sogar die eine oder andere Lehrerin hätte ein Auge auf ihn geworfen, würde dies aber mit Strenge überspielen, im Hinblick auf sein Verhalten während des Unterrichts und die mangelnde Disziplin bei den Hausaufgaben. Das machte mir nichts aus; ich schrieb zwar gute Noten, war aber zu paukfaul, um mein Potential auszuschöpfen. Ähnlich sah ich dies bei Sirius, der zwei Stufen über mir war, aber dennoch bekannt wie ein bunter Hund. Ich hielt ihn wegen dieses Phlegmas für hochintelligent. Das mag nicht ganz der Wahrheit entsprochen haben, aber bekanntermaßen gehören Idealisierungen zum Schwärmen dazu.

Ich liebte es, ihn während des Unterrichts zu beobachten. Nicht, dass ich die Stunden langweilig gefunden hätte – ich war und bin sehr neugierig, auch wenn mir Fleiß und Ehrgeiz für langwieriges Lernen fehlten –, aber ich verfiel eben jedes Mal aufs Neue dem Charisma und der verwegenen Schönheit dieses Gryffindors und suchte mir vor Stundenbeginn einen weit hinten liegenden Platz, damit die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass ich ihn von seiner entzückenden Rückseite sehen konnte, wie er mit waghalsigem Schwung (aber immer gut genug geschätzt, um nicht hintenüber zu fallen) mit seinem Stuhl kippelte oder seine Schreibfeder zwischen den schmalen Fingern spielerisch hin- und herrollte. Natürlich hatten wir Fünftklässler keine gemeinsamen Unterrichtseinheiten mit der Abschlussklasse, in der Sirius zu dieser Zeit war, doch ich besuchte ein paar seiner Stunden freiwillig, wenn ich gerade nirgendwo sonst anwesend sein musste und mich unauffällig dazwischenschmuggeln konnte. Dabei kam mir ein Freund aus meinem Haus zugute, der ebenfalls in der Siebten war, mich stets über zusammengelegten Unterricht auf dem Laufenden halten konnte und mir einen Platz neben sich freihielt, wenn er wusste, dass ich kommen würde und bloß etwas zu spät aufgestanden war.

Quentin war wohl sogar so etwas wie mein bester Freund, auch wenn wir das nie festgelegt oder darüber diskutiert haben. Mit ihm verstand ich mich besser als mit meinen Stufenkameraden, trotz seiner etwas brummigen Art. Wir alberten beim Quidditchtraining miteinander herum, bis Albert, unser einigermaßen strenger Kapitän, »Etwas mehr Konzentration da hinten, Snyder, Hopkirk!« forderte. Bei Spielen mimte Quentin oft genug meinen persönlichen Bodyguard und hielt mir die Klatscher vom Leib, damit ich Tore werfen konnte. Wenn sich die unfreundlichen Strebertussen über meine verworrene Frisur, meine vielleicht nicht immer so gut zusammenpassenden Klamotten oder sonstige Oberflächlichkeiten lustig machten, schenkte er mir verhaltene Komplimente, Kleinigkeiten, mit denen er sofort meine Laune bessern konnte. Und obwohl wir stoffmäßig wegen des Altersunterschieds nicht dasselbe lernten (wenn wir uns mal dazu aufraffen konnten), saßen wir dabei oft nebeneinander und diskutierten über die eine oder andere Tatsache oder These, was ohnehin interessanter war als das Auswendiglernen. Diesen Gesprächen hatte ich unbestreitbar die eine oder andere bessere Note zu verdanken, genauso wie den im Siebtklassunterricht verbrachten Stunden.

Worüber Quentin sich natürlich lustig machte, war meine Passion für den Mädchenschwarm, den er nicht sonderlich mochte. Zur Mittagspause begrüßte er mich gern mit einem Spruch wie »Du hast verpasst, wie sich Black anmutig wie ein junger Halbgott mit der rechten Hand durch sein volles, schwarzes Haar gefahren ist« (während ich über Quentins Schulter und zwei Haustische hinweg beobachtete, wie sich Sirius anmutig wie ein junger Halbgott mit der rechten Hand durch sein volles, schwarzes Haar fuhr). Solche Worte wischte ich jedoch mit einem raschen Kopfschütteln aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich war zwar ehrlich, musste ihm aber nicht jeden entrückten Gedankengang ausbreiten, der ihn ohnehin nicht interessierte, ja, sogar etwas eifersüchtig zu machen schien und ihm nur noch mehr Details lieferte, mit denen er mich als ein wenig lächerlich darstellen konnte.

Eines Nachts verließ ich den Astronomieturm nach dem bis ein Uhr dauernden Unterricht weit hinter meinen Mitschülern zurückbleibend und wurde beim Heruntersteigen des Treppchens ins Schlossinnere von der plötzlichen Leere der Korridore überrascht. Durchaus positiv, denn die dunkle Ruhe fühlte sich überraschend friedlich und einladend an. Schon auf der Plattform des Turms war es – verglichen mit den Wetterzuständen und Temperaturen der letzten Tage – angenehm und warm gewesen, der Vollmond und die Sterne hatten sich hell herausgeputzt und waren durch das Teleskop deutlich erkennbar. Spontan schlich ich mich um eine Ecke, bevor Professor Galatus ebenfalls herunterkommen und mich entdecken konnte (er hatte den Kopf sowieso viel lieber in den Sternen), und folgte Gängen und Treppen, die definitiv nicht zu meinem Hausturm, sondern ganz im Gegenteil nach unten und hinaus auf die Ländereien führten. Ich bin nicht der Typ, der gern Regeln bricht, aber auch nicht unbedingt ein Angsthäschen, das bei der kleinsten Grenzüberschreitung entsetzt ‘Das darf man nicht!’ ruft, und meine nächste Unterrichtsstunde fand ohnehin erst am späten Vormittag statt, also achtete ich einfach beim Herumspazieren darauf, von niemandem gesehen zu werden, und genoss die Stille im Schloss und kurz darauf auch im Freien.

Unten war es noch angenehmer als auf dem Turm, wo es etwas windiger zuging, und ich wollte gerade eine kleine Runde im Schatten des Gebäudes beginnen, da hörte ich ein Jaulen. Es klang nicht, als käme es aus den fernen Tiefen des Verbotenen Waldes, und mich durchfuhr die erschreckende Befürchtung, Wölfe könnten sich bis an den Waldrand oder gar noch näher herangewagt haben. Ich drückte mich mit zittrigen Knien gegen die Schlossmauer und war plötzlich weitaus weniger träumerisch, sondern eher so wach, als hätte mich jemand frisch in Eiswasser getaucht. Fahrig fummelte ich meinen Zauberstab aus der Tasche und traute mich näher an die Ecke, hin- und hergerissen zwischen Fluchtreflex und Neugierde.

Nach langen Warteminuten hörte ich von jenseits der Ecke auch noch nahe Stimmen und riskierte einen Blick. Höchst erstaunt erkannte ich einige Meter weiter ein paar Schülergestalten mit nahezu unverwechselbaren Körperhaltungen, vor allem in dieser Kombination … Sirius, der Rumtreiber, zusammen mit den zwei Cliquenmitgliedern James Potter und Peter Pettigrew! Remus Lupin fehlte noch, aber meine Aufmerksamkeit galt natürlich rasch wieder Sirius, der in unnachahmlicher Lässigkeit dastand, als würde er auf etwas warten. Dabei sah er abwechselnd in Richtung Wald und in die Runde.

Mir fielen die abstrusesten Möglichkeiten ein, die die Situation hätten erklären können. Sie wollten sich doch nicht im Wald mit Wölfen anlegen?! Der Atem stockte mir, als ein weiteres Jaulen erklang und James daraufhin etwas wie »Na, dann mal los« sagte, während sich Pettigrew vor Angst geradezu in die Hosen zu machen schien. Fast wie ich, kam es mir in den Sinn, allerdings verdrängte ich den Gedanken wieder, weil ich mich nicht mit diesem unfreundlichen und begierig auf die tiefen Ausschnitte mancher Klassenkameradinnen starrenden Taugenichts vergleichen wollte.

Die drei setzten sich nun in Bewegung und wollten tatsächlich hinunter zum Wald, weshalb mir ein entsetztes Krächzen entfuhr. Das nicht gerade leise gewesen sein muss, denn während James schon in einen Laufschritt verfiel und Pettigrew sich beeilte, ihm nachzukommen, wandte sich Sirius um und blieb abrupt stehen.

»Ich komm’ gleich nach«, sagte er den anderen halblaut und drehte sich in meine Richtung, wo ich daraufhin viel zu spät den Kopf einzog und sich mein Puls noch weiter beschleunigte. Oh mein Gott! Nicht nur, dass ich hier ein wahnwitziges Abenteuer mitverfolgte – mein Schwarm musste mich auch noch genau bei dieser Gelegenheit das erste Mal bemerken. Wie ich ihm augenscheinlich um halb zwei Uhr Nachts hinterherspionierte.

Selbstverständlich hatte er mich gesehen, allerdings verzog er die Nase eigenartig, schien etwas … erschnüffeln zu wollen? Und ich weiß nicht, wie ich mich von diesem gleichzeitig attraktiven und beunruhigenden Anblick losreißen konnte, vielleicht habe ich sogar ein verändertes Laufgeräusch wahrgenommen, jedenfalls blickte ich ihm über die Schulter auf die weite Wiese und erkannte nicht mehr zwei rennende Gryffindors, sondern nur mehr den pummeligen Pettigrew und – einen Hirsch. Mit imposantem Geweih. Kurz darauf verschwand Peter urplötzlich neben der Tiergestalt, die weiterhin auf den Verbotenen Wald zusteuerte.

Vollends verwirrt waren meine ersten Worte an den herangetretenen und mich etwas skeptisch musternden Sirius: »James Potter ist ein Hirsch?«

Der Gryffindor schmunzelte leicht, was bereits zur Folge hatte, dass ich wie flüssiges Siegelwachs dahinschmolz, trotz der höchst rätselhaften Situation. »Und eine kleine Ravenclaw ist so spät noch nicht in ihrem Prinzessinnenturm?«, erwiderte er, zwischen Charmieren und Spöttelei.

Im ersten Augenblick glaubte ich tatsächlich, er hätte sich mich irgendwoher gemerkt, und dass ich eine Ravenclaw war. Mein Herz machte einen kleinen Sprung – bis mir meine blau und bronzefarben gestreifte Krawatte unter dem offenen Umhang einfiel. Ich schluckte, auch, weil ich es nicht mochte, als Prinzesschen dargestellt zu werden – was hatte ich schon mit so jemandem gemein? –, besonders nicht von ihm. Im Stillen bezweifelte ich außerdem, dass Sirius mich wegen des nächtlichen Herumspazierens anschwärzen würde, und wartete einfach auf eine weitere Reaktion. Obwohl man meinen könnte, dass ich mit einer Antwort dran wäre. Nun ja, ich war noch nie besonders schlagfertig und entschied mich für die Schweigsamkeit, die Sirius zusammen mit dem festgestellten Regelbruch wohl zum nächsten Kommentar veranlasste.

»Stille Wasser sind tief, hm?« Er lehnte sich an die Schlossmauer und schien es nicht gerade eilig zu haben, seinen Kumpanen zu folgen, aber kaum hatte ich diesen Gedanken zuendegedacht, fuhr er mit einem halben Blick über die Schulter fort: »Trotzdem wär’s besser, du gehst jetzt wieder rein.«

Bildete ich es mir ein, oder sah es tatsächlich so aus, als würde er sich auch um mich Sorgen machen? Sollte ich reingehen, weil es draußen gefährlich werden könnte?

»Ach, und das, was du vielleicht gesehen hast« – er beugte sich näher zu mir vor, und ich hielt den Atem an, bis mir die Idee kam, seinen Duft einzusaugen, und ich vorsichtig einen Zug frischer Luft mit ganz, ganz leichtem Sirius-Aroma nahm, wobei ich mir gleichzeitig total lächerlich ob meiner Verschossenheit vorkam – »bleibt unser kleines Geheimnis, einverstanden, Süße?«

Süße? Ich befand mich mental bereits ziemlich ohnmächtig zu seinen Füßen – wie gesagt, nicht ganz der Eindruck, den ich hinterlassen wollte und sogar einer, der mir selbst langsam unangenehm war –, versuchte aber, einen halbwegs gelassenen Eindruck aufzubauen, indem ich erst eine Augenbraue hochzog und anschließend nickte, als hätte ich mich bereiterklärt, seinen Zaubereigeschichte-Aufsatz zu korrigieren. Derweil stieg in mir etwas Panik auf, immerhin würde Sirius gleich wieder weg sein. Argh.

Als er sein Gewicht wieder in die Körpermitte verlagerte und den Arm von der Wand nahm, fragte ich, etwas atemlos vielleicht: »Es ist doch nichts Gefährliches? Und – verwandelst du dich auch?«, da ich mittlerweile endlich begriffen hatte, dass James ein Animagus sein musste.

Er grinste mich bezaubernd schelmisch an und schüttelte zunächst den Kopf, was ich in Bezug auf zwei Ja-Nein-Fragen nicht ganz deuten konnte. Vielleicht schüttelte er auch über mich den Kopf? Dann wandte er sich allerdings ganz einfach ab, was zur Folge hatte, dass ich verwirrt herumstand, als hätte er mir gerade einen unerwarteten Korb gegeben (wie könnte ein Korb von Sirius Black für mich unerwartet sein? Er hatte gerade erreicht, dass ich die Klappe halten würde, und nun musste er sich nicht weiter mit mir auseinandersetzen). Jedoch drehte er sich im Gehen noch einmal zu mir um und verabschiedete sich mit den stolz und zugegebenermaßen ein bisschen angeberisch klingenden Worten: »Ich zeig’s dir.«

Fünf Schritte von mir entfernt wurde Sirius zu einem großen, schwarzen Hund, der immer schneller über die Wiese jagte und vor seinem Verschwinden im Verbotenen Wald einmal leise bellte.

~*~*~*~

Am nächsten Morgen fragte ich mich als Erstes, ob ich das alles nur geträumt hatte, und als Zweites, wieso es schon so hell war. Bis ich mit einem Blick auf die Uhr bemerkte, dass ich den ganzen Vormittag verschlafen hatte. Eilig sprang ich in meine Schuluniform, um wenigstens noch etwas Essbares an der Mittagstafel zu bekommen, wo ich dann zunächst meine schaulustigen Mitschülerinnen am Haustisch und ihr geheuchelt besorgtes »Wo warst du?« mit einem abwinkenden »Verpennt!« abschütteln musste und mich zum etwas einsam dasitzenden Quentin setzte.

»Wie kommt’s, dass du eine Stunde hinter-Black-Sitzen verpasst hast?«, fragte er neckisch, aber sein Tonfall offenbarte weniger Heiterkeit. Vielleicht hatte es ihn betrübt, dass ich ihn selbst sitzen gelassen hatte?

»Total verschlafen, ich hatte gestern Astronomie«, erwiderte ich, während ich mir kalten Braten mit Weißbrot auftischte, um ein annähernd frühstückhaftes Essen zusammenzustellen.

»Uuuh, Astronomie«, meinte er nur noch, als ob mich das bisher davon abgehalten hätte, rechtzeitig aufzustehen. Und ja, er hatte dermaßen recht, dass ich mich nicht traute, ihn anzusehen, weshalb ich etwas hilflos und hoffentlich müde genug vor mich hinlächelte.

Zum Glück ließ Quentin das Thema fallen und schien halbwegs versöhnt. Ich wollte ihm ausnahmsweise nicht erzählen, was passiert war, was an der süßen, dummen Verknalltheit lag, die Sirius’ und mein kleines Geheimnis zu etwas äußerst Wertvollem und Innigem erhob.

Als meine Schlafsaalgenossinnen aufstanden und sich auf den Weg zur nächsten Schulstunde machten, hatte ich es etwas zu eilig, mich von Quentin zu verabschieden und ihnen hinterherzukommen.

~*~*~*~

Ein paar eher unspektakulär vergangene Wochen später machten Quentin und ich uns auf den Weg zum Quidditchtraining. Die Wiesen waren längst nicht mehr so matschig wie bei den letzten Einheiten, und ich hegte die Hoffnung, später nicht gleich schlammtriefend in die Mannschaftsduschen rennen zu müssen, sondern einigermaßen trocken zurück ins Schloss gehen und mich in meinem Schlafsaalbad sauberwaschen zu können. Bei den Kerlen wusste man nie, ob sie nicht doch um die Abtrennung herumlugten, um einen zu bespannen, weshalb Marjorie und ich lieber auf die schamhafte Variante zurückgriffen, während es Rose so ziemlich egal war. Das traute man ihr als hübschem Küken der Mannschaft eigentlich gar nicht zu, aber entweder war sie noch zu jung und unschuldig für solche Gedanken oder – weitaus wahrscheinlicher – sie betrachtete die Teamkollegen eher als große Brüder, denen gegenüber sie kein besonderes Schamgefühl hatte. Immerhin bestand der Großteil ihrer engeren Familie aus älteren Geschwistern.

»Meinst du, Albert versucht uns heute wieder mit ewigem im-Kreis-Fliegen Disziplin beizubringen?«, begann ich – fast am Stadion angekommen – ein Gespräch mit Quentin, der diese neue Trainingsmethode auch eher empörend als erfolgsversprechend fand, als ich einen wohlbekannten schwarzen Haarschopf erspähte, der gerade den Bungalow mit den Mannschaftskabinen verlassen hatte und das feuchte Haar glattdrückte. Seit wann flog der denn? Während mein Herz in plötzlicher Aufregung hüpfte, sog Quentin hörbar die Luft ein, gab aber anstatt des erwarteten abfälligen Kommentars eine Antwort auf meine Frage zum Training ab.

»Kann gut sein, so schnell lässt er sich von seinen Strategien nicht abbringen«, grummelte er wenig vorfreudig und steuerte den Bungaloweingang an.

»Ich warte draußen, bin eh schon umgezogen«, verkündete ich mit möglichst harmloser Stimme und entfernte mich alibimäßig etwas vom Gebäude, damit Quentin mich nicht wieder des Groupiespielens verdächtigte.

Zugegebenermaßen kreisten meine Gedanken dabei jedoch um die Tatsache, dass mich Sirius, der immer noch vor einem der Fenster stand und sein Spiegelbild betrachtend in seinen Haaren herumfummelte, seit dem nächtlichen Ereignis nicht erneut bemerkt, geschweige denn angesprochen hatte. Er war sich meiner anhaltenden Schweigsamkeit wohl sehr sicher; vielleicht, dachte ich, sollte ich ihn ansprechen und ein paar Andeutungen machen, dass ich durchaus ein paar Leute kannte, die das kleine Geheimnis ziemlich interessant fänden? Nein, sollte ich nicht. Aber ich wünschte mir natürlich ein paar mehr Worte von ihm. Wenigstens ein Zwinkern hätte er mir mal schenken können, dachte ich in verletztem mentalen Tonfall und trat ein paar entschlossene Schritte an ihn heran.

»Sirius«, begrüßte ich ihn zunächst und sprach seinen Namen ernst aus.

Doch leider war die Person, die sich zu mir umwandte, nicht Sirius Black. Obwohl sich die beiden ziemlich ähnlich sahen. Ich merkte, wie ich den mehr oder weniger Fremden – hey, war es nicht sein Bruder? – etwas enttäuscht angesehen haben musste, war aber zu langsam, um vor seiner verstimmten Anklage noch eine Entschuldigung herauszubringen.

»Nein, ich bin nicht mein Bruder, Snyder. Sollte wohl immer mit meinem Hausschal um den Hals herumlaufen, damit ihr mich nicht ständig mit dieser prahlerischen Missgeburt verwechselt.«

Mit diesen Worten schnappte er sich seinen an die Wand gelehnten Besen und stiefelte, ohne eine Reaktion abzuwarten, in Richtung Schloss davon.

Während ich auf Quentin wartete und auch noch während des gesamten Trainings dachte ich über diese Begegnung nach. Zuerst war ich entrüstet und sogar wütend über die Beschimpfungen, dann begann ich langsam, die Gefühle, die dahintersteckten, begreifen zu wollen. Und ich fragte mich, wieso er mich mit meinem Namen (okay, nur mit meinem Nachnamen) angesprochen hatte, noch bevor mir plötzlich der seinige einfiel: Regulus Black. Er war in meiner Stufe, und besonders nach seinem Hausschalkommentar war ich mir sicher, dass er zu den Slytherins gehörte. Allerdings hatte ich nicht mitbekommen, dass er für die Hausmannschaft spielte. Vielleicht fing er erst neu an.

»Snyder! Wenn du den nächsten nicht fängst, kannst du das Spiel von der Ersatzbank aus angucken!«

»Klar, Chef. Ich flieg’ dann nachher zur Strafe einfach noch ein paar Extrarunden ums Stadion.«

Quentin und der Rest des Teams starrten mich aufgrund der Albert gegenüber unerwartet sarkastischen Aussage an. Ziemlich entgeistert. Normalerweise sagte ihm niemand so offen und vor versammelter Mannschaft, wenn ihm etwas nicht gefiel. Für ein paar Augenblicke war es ganz still, und ich erwachte langsam aus meinem nachdenklichen Delirium und begann, eine Entschuldigung zu stammeln, als Albert mich – noch überraschender – unterbrach: »Nein, nein. Du hast ganz recht, das Herumgefliege war nicht gerade meine brillanteste Idee. Ab nächstem Mal geht’s wieder normal los.«

Gleichzeitig erleichtert und erstaunt über ein solches Eingeständnis, blieb die ganze Gruppe weiterhin still und mittlerweile auch ziemlich regungslos in der Luft hängend.

»Aber – Snyder?«

»… Ja, ich werde den verdammten Ball fangen, Albert.«

»Das will ich hören. Weiter geht’s!«

~*~*~*~

Die nächsten Tage trainierten wir vermehrt, da ein wichtiges Spiel gegen Slytherin anstand. Kurz davor bekam Quentin wie immer seine Aufputschattacke. »Wenn ich jetzt noch einen Krafttrank zu brauen anfange, könnte er bis Samstag fertig werden«, grübelte er, während er zum hundertsten Mal die entsprechenden Trankzutaten, die er mittlerweile auswendig kennen musste, nachschlug. Und zum hundertsten Mal feststellte, dass ihm noch mindestens drei Ingredienzen fehlten und er sie Professor Slughorn entwenden müsste.

»Abgesehen davon, dass du disqualifiziert werden könntest, was wir ganz sicher am wenigsten gebrauchen können«, setzte ich hinzu und verstaute meine Lektüre, da ich mit diesem nervösen Kind an meiner Seite nicht mehr zum Lesen kommen würde. »Der einzige Trank, den du brauchst, ist der Kürbissaft am Morgen. Wahlweise auch Schokoladenmilch.«

Immerhin hielt sich Quentin wie jedes Mal doch an die Regeln, und wir traten allesamt ohne zusätzliche Elixiere intus am Samstagvormittag unter Jubelrufen ins Stadion. Dieses Spiel war das erste, vor dem ich Regulus Blacks Hand schüttelte (und mein schlechtes Gewissen dafür sorgte, dass ich meinen Blick nicht hob, weil er mich noch immer für einen dümmlichen Groupie halten musste, was ich einer neutralen Person gegenüber nicht gern auf mir sitzen ließ). Sirius’ Bruder sollte seine Premiere als Sucher haben – und es stellte sich heraus, dass er verdammt gut war. Nicht nur ich hatte Bedenken, ob sich Rose bei einem Kopf-an-Kopf-Duell durchsetzen könnte, was mitunter auch an Regulus’ Rennbesen lag. Also setzten wir alles daran, ihm ein paar schnelle Klatscher um die Ohren zu jagen (Quentins Job) und einen ordentlichen Punktevorsprung anzulegen (mein Job). Letzteres war auch eindeutig der Schwachpunkt der Slytherinmannschaft, die keine herausragenden Werfer hatte und offenbar einen lethargischen Bergtroll in der Hüterposition führte. Und so schafften wir das nahezu Unmögliche – und gewannen nach langem Spiel, obwohl die Slytherins den Schnatz ergatterten, um keine Komplettniederlage einzustecken.

Bevor ich allerdings mit den anderen Ravenclaws feiern ging, wollte ich kurz mit Regulus sprechen. Quentin bedachte mich bei dieser Offenbarung mit einem Blick, als zweifle er ernsthaft den Verbleib meiner geistigen Fähigkeiten an, ließ mich dann aber doch schulterzuckend gehen und holte zu Rose auf, um unsere deprimierte Sucherin wieder aufzumuntern.

Als ich vor den Umkleiden auf Regulus wartete, fragte ich mich sogar selbst, was ich mir da für einen Plan ausgedacht hatte, besonders, als mich ein Slytherin – der Hüter natürlich – zähnefletschend anknurrte. Weswegen ich vielleicht etwas zu freudig-erleichtert klang, als ein nicht knurrender Regulus herauskam und ich ihn mit seinem Vornamen ansprach.

»Du lernst dazu, Snyder«, lobte er mich ironisch. »Was willst du? Soll ich dir auch noch gratulieren?«

»Nein. Ähm. Eigentlich wollte ich dir gratulieren.«

Regulus war sichtlich überrascht. Und natürlich musste er denken, es wäre etwas faul an der Sache. Ich bewegte mich ein paar Schritte fort vom Umkleidenausgang. »Davor möchte ich mich allerdings bei dir entschuldigen. Ich wollte nicht eine von den hohlen Nüssen sein, die dich mit deinem Bruder verwechseln.«

Regulus’ Blick sagte deutlich: ‘Warst du aber.’ Doch immerhin schien er sich auch darüber zu wundern, weswegen ich ihm das erzählte, und er näherte sich ein paar Schritte, bis wir tatsächlich zusammenstanden, als würden wir ein Gespräch führen. Eine Art Vertrauen oder Glaubwürdigkeit würde ich mir noch verdienen müssen.

»Außerdem hast du heute toll gespielt.«

Scheinbar noch immer mit der stummen Überlegung hinter den Augen, ob ich das nun ironisch meinte oder nicht, antwortete Regulus mit einem vorsichtigen »Danke«, bei dem er sich eine nasse Strähne aus dem Gesicht strich. Ich fragte mich mittlerweile, wie ich sein Haar mit dem von Sirius hatte verwechseln können.

»Spielst du schon länger?«

»Ich fliege schon lange, ja.« Zögernd fügte er hinzu: »Eigentlich wollte ich Jäger werden, aber als letztens der Sucher krank geworden ist, habe ich es auf der Position probiert.«

Jäger wollte er also sein? Wie ich? Irgendwie fühlte ich mich geschmeichelt – und fragte mich etwas unbequem, ob der Slytherin mich vielleicht wesentlich besser kannte als ich ihn. Immerhin konnte er mich damals auch gleich mit meinem Nachnamen ansprechen.

»Ich finde, die Sucherposition passt perfekt zu dir.« Er sah aus wie der typische Kerl dafür, nicht zu groß, dafür schmächtig und irgendwie aerodynamisch. Bis auf die längeren Haare. Ich schien ihn allerdings in Verlegenheit gebracht zu haben, jedenfalls wusste er augenscheinlich nicht, was er antworten sollte. Deshalb fügte ich gleich darauf hinzu: »Naja, deine Kollegen vermissen dich bestimmt schon. Mach’s gut, man sieht sich.«

Damit trat ich, selbst etwas unschlüssig, den Weg in meinen Gemeinschaftsraum an. Nach wenigen Metern meinte Regulus hinter mir: »Man sieht sich, Snyder.«

»Maya, bitte.«

»… Maya.«

~*~*~*~

Für die folgende Zeit hatte unser Quidditchkapitän uns eine Verschnaufpause in Sachen Training verschafft, unter anderem auch, weil ihn die Gryffindor- und Hufflepuffspieler, die als nächstes gegeneinander spielen würden, um die Ravenclaw zugeteilten Übungsstunden anbettelten. Somit verbrachte ich wieder mehr Zeit – man ahnt es schon – neben Quentin und hinter Sirius in einem frisch gefrühjahrsputzten Klassenzimmer. Mein Hauskumpane überredete mich jedoch auch zu ein paar Spaßtrainings, bei denen wir uns gegenseitig mit Quaffeln und Klatschern ärgerten.

An einem Abend unterbrach Quentin unser Spielchen kurz durch ein »Was macht dieser Slytherin eigentlich da hinten auf den Tribünen?«, und als ich den Blick in die von ihm gezeigte Richtung lenkte, erkannte ich einen in der Dämmerung über die Sitzplätze gelümmelten Regulus Black. Ich zuckte nur mit den Schultern und spielte ihm wieder den Quaffel zu, um ihn einen ungelenken Korb werfen zu lassen. Doch innerlich irritierte mich Regulus’ Anwesenheit wohl mehr als meinen Freund. Und weil ich mit zunehmender Trainingsdauer immer neugieriger wurde, konnte ich Quentins etwas atemloses »Machen wir Schluss für heute?« kaum erwarten.

Während er zum Umkleidebungalow niedersank, beeilte ich mich mit dem Ballverstauen und flog dann kurzerhand zum noch immer am selben Platz sitzenden Slytherin-Sucher. »Hast du gewartet, bis wir weg sind und du das Feld für dich allein hast?«, brachte ich gleich meine Theorie Nummer eins hervor, ließ mich auf einem Sitz neben ihm nieder und lockerte mein Haarband, sodass sich ein paar dunkelbraune Strähnen daraus lösten.

Er überlegte kurz seine Antwort zusammen und musste mich gleich enttäuschen: »Nein, ich hab nicht mal meinen Besen und die Trainingsklamotten hier.« Ein weiteres Zögern, bei dem er mir kurz in die Augen sah. »Das Schloss war mir nur zu unruhig«, erklärte er letztendlich – und sah aus, als würde er sich fragen, ob mir dies als Erklärung reichen würde. Offenbar zweifelte er daran, denn er setzte hinzu: »Da komm’ ich manchmal hier raus und gucke Leuten beim Üben zu. Oder lese nebenher.« Er deutete auf ein Buch, das auf dem Platz zu seiner anderen Seite lag. Furunkeln, Frösche, Farbenspiel – die formidabelsten Tränke für frustrierte Studenten. Interessant.

»Und«, nahm ich den Gesprächsfaden auf, »willst du immer noch lieber Jäger sein?«

»Naja. Im Prinzip hast du Recht mit dem, was du gesagt hast. Dass ich gut zu der Sucherposition passe und so. Immerhin hat’s im Spiel auch mit dem Schnatz geklappt.«

»Hätte nur ein bisschen früher kommen können«, neckte ich ihn ein wenig und erntete ein blasses Lächeln vom blassen Jungen.

»Wart’s nur ab, bis ich nächstes Jahr besser spiele.«

»Mir schlottern schon die Knie … Oh, Quentin wartet unten auf mich. Dann will ich dich nicht länger vom Lesen abhalten. Bis die Tage!« Mit diesen Worten hüpfte ich wieder auf meinen Besen und segelte – um Regulus noch etwas zu sehen zu geben – in ein paar Pirouetten zu meinem Hauskameraden hinunter. Der etwas eigensinnige Slytherin wurde mir immer sympathischer.

Womit ich aber nicht gerechnet hätte, war der Gedanke hinter Quentins Äußerung, nachdem ich neben ihm auf dem Boden aufgekommen war: »Versuchst du jetzt schon, über seinen Bruder an ihn ranzukommen?«

»Quatsch«, antwortete ich verdattert. Was mich gleichzeitig überraschte. Vor ein paar Wochen wäre mir die Idee wohl als Erstes gekommen, wenn ich zufälligerweise ein paar Worte mit Regulus Black gewechselt hätte. Verflüchtigte sich etwa die Verknalltheit? Mir fiel auf, dass ich die letzten Siebtklassunterrichtsstunden sogar mehr auf die Lehrer als auf meinen Schwarm fixiert gewesen war – und das wollte bei aller Neugierde etwas heißen, wenn ich meine Augen lieber auf Slughorns drahtkonsistentigen Schnurrbart als auf Sirius’ glänzendes Haar richtete. An Regulus dachte ich fast unter Ausschluss seines älteren Bruders, obwohl die Verwechslung mit diesem eigentlich der Grund für unseren Kontakt war.

Kurz darauf sollte diese Feststellung jedoch auf die Probe gestellt werden, als sich mir wieder die Chance bot, in einer Freistunde zu den Siebtklässlern zu huschen. Ich war vor Sirius im Klassenzimmer, allerdings waren die Plätze in den letzten Reihen bis auf vereinzelte Lücken besetzt (kein Wunder, es sollte Verwandlung stattfinden, und Professor Twittlewell nahm für seine Vorführungen bevorzugt die vorn in seiner Reichweite sitzenden Schüler), und Quentin und ich ließen uns zwangsweise im Mittelfeld nieder.

Noch während ich Quentin dabei beobachtete, wie er einen Bogen Pergament glattstrich, das Fässchen mit der grünblauen Tinte aufschraubte und seine Schreibfeder parallel zum Papier ausrichtete, trat Sirius Black ins Zimmer, die Tischreihen mit den Augen nach seinen Kumpanen absuchend. Und wie es der Zufall (der ja auch genügend Zeit dazu hatte) wollte, fiel der Blick des Gryffindors dabei auch auf mich. Er stolzierte durch den Mittelgang, zu dessen linker Seite ich saß – es kam mir vor wie in Zeitlupe –, und beim Vorbeigehen bedachte er mich mit einem kecken Grinsen sowie den gemurmelten Worten: »Ach ja, die kleine Ravenclaw …«

Ich versuchte mich an einem hintergründigen Lächeln, von dem er vermutlich nichts mitbekam, weil er bereits an mir vorüber war. Doch Quentin war aufmerksam genug – eigentlich zu aufmerksam. »’Kleine Ravenclaw’?«, zischte er mir leise von der Seite zu. »Wann zum Hippogreif habt ihr euch denn so gut kennen gelernt?«

Mir war bewusst, dass dies zusammen mit dem Kontakt zu Regulus Black ihn zum Schluss führen konnte, dass da etwas am Laufen war. Und ich ihm natürlich nichts davon erzählt hatte. Trotzdem ging ich nicht weiter darauf ein als mit einem schlichten »Gar nicht«. Ich spürte seinen misstrauischen Blick auf mir ruhen, während ich den Rücken meines Vordermanns anstarrte. Aber was wollte er denn hören? Ich war ja leider nicht mit Sirius zusammen, und bis dahin würde Quentin alles augenverdrehend als ‘alberne Schwärmerei’ bezeichnen, warum sollte das also wichtig sein? Und so ließ ich das Thema unter den Tisch fallen, wo es lautlos aufschlug.

Ein Fehler, wie ich später bemerkte – denn zu dieser Zeit begann ich, Regulus nicht nur beim Vorbeigehen zu grüßen, sondern auch hin und wieder mit ihm herumzuhängen. Es war nicht so, dass ich meinen besten Freund davon ausschloss, wir hatten sogar eine kleine Quidditcheinheit zu dritt, aber da Quentin in seinem Abschlussjahr etwas mehr zu tun hatte als ich, verbrachte ich meine Freizeit eben auch in anderer Gesellschaft.

~*~*~*~

Quentin und ich hatten uns wie so oft mittwochabends in die Bibliothek gesetzt, um neben- und miteinander zu lernen. Er studierte einen Wälzer, mithilfe dessen er seinen Aufsatz für Verteidigung gegen die dunklen Künste schrieb, und ich bereitete mich auf die nächsten Wochen Kräuterkunde vor, indem ich in einem allgemeinen Werk etwas über die Pflanzen las, die für das Jahr noch auf dem Lehrplan standen. »Hmm, müssen wir dann selbst mit fangzähnigen Geranien arbeiten?«, wollte ich zwischendurch von Quentin wissen und blickte von meiner Lektüre auf.

»Kann schon sein. Ich weiß es nicht mehr genau, aber zumindest in den ZAG-Prüfungen mussten wir was mit denen machen«, kam nach ein paar Augenblicken die Antwort.

Ich nickte und ließ meinen Blick ein wenig schweifen – Kräuterkunde gehörte nicht zu meinen Lieblingsfächern, aber solange es um stillhaltende Pflanzen ging, kam ich ganz gut klar. Deshalb beunruhigte mich jede Aussicht auf kratzendes, beißendes und flüchtendes Grünzeug. Wie viel hatten meine Drachenlederhandschuhe schon von mir abgehalten! Ich hatte ihnen wirklich etwas zu verdanken. Vielleicht sollte ich sie nach Ende meiner Schullaufbahn eingerahmt aufhängen, als Dank dafür, dass ich noch all meine Finger hatte … falls ich sie dann tatsächlich noch alle haben sollte.

Mitten in diesen Gedankengang spazierte der um die Ecke kommende Regulus. Ich bemerkte ihn zuerst und beobachtete ihn, wie er konzentriert die Regale abschritt, auf der Suche nach einem bestimmten Buch. Als er innehielt und einen schmalen Band herauszog, um ihn zu durchblättern, hob er kurz den Blick und sah zu uns herüber. Ich winkte ihm zu und nahm meine Tasche von einem der anderen Stühle an unserem Tisch, um ihn ihm anzubieten, und er kam näher. »Hi«, begrüßte er auch Quentin, welcher nur kurz nickend von seinem Aufsatz aufsah, dem er gerade einen Satz hinzufügte. »Ich störe euch nicht beim Lernen?«

Ich schüttelte demonstrativ den Kopf. »Lese gerade ein bisschen in den Pflanzen, die wir vor den ZAGs noch durchnehmen müssen. Freu’ dich schon auf fleischfressende Geranien.«

»Fangzähnige«, korrigierte Quentin. »Sie ernähren sich gar nicht wirklich von Fleisch.«

»Ach«, winkte ich ab, »ich bin auch fleischfressend, obwohl ich nicht ein Steak nach dem anderen verdrücke.«

Regulus schmunzelte, aber mein Ravenclawfreund zeigte sich unnachgiebig: »Black hat bei der Prüfung Punktabzug bekommen, weil er das falsch bezeichnet hat. Also, Sirius, nicht du natürlich«, in Regulus’ Richtung. Dieser nickte vage. »Der Idiot war bei so etwas noch nie besonders korrekt.«

Quentin huschte kurz ein Lächeln über die Lippen. Ja, der Einwand dürfte ihm gefallen haben, und ich hatte auch nichts dagegen, wenn sich der Slytherin bei ihm beliebter machte, aber Sirius Black als einen Idioten zu bezeichnen, behagte mir immer noch nicht, und so murmelte ich »Jaja«, um die Aussage zu relativieren und ihren Inhalt wie eine Fußspur im Sand grob zu verwischen.

»Und was lernst du?«, fragte Regulus daraufhin interessiert Quentin.

»Ach, es geht um verschiedene schwarzmagische Artefakte und wie man sich vor ihnen schützen kann.«

Der Slytherin setzte sich etwas aufrechter hin und spähte auf das Buch, das Quentin als Quelle verwendete. »Haufenweise komplizierte Beschwörungen für verschiedene Arten von Gegenständen, hm?«, fasste er nach einem Blick auf die aufgeschlagene Doppelseite zusammen. »Dabei ist es eigentlich relativ simpel, stattdessen ein Paar mit allgemeinen Formeln präparierte Handschuhe zu verwenden.«

Das Gespräch zog nun auch meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich dachte an meine Drachenlederhandschuhe, mit denen in diesem Fall wohl nicht viel anzufangen wäre.

Quentin blinzelte Regulus irritiert an. »Ich glaube nicht, dass es Ziel des Aufsatzes ist, zur Folge zu kommen, dass eigentlich nur ein Paar spezieller Handschuhe nötig ist. Das wäre, als würde man in jeden Gegengiftaufsatz schreiben: ‘Das ist aber eigentlich alles egal, man kann dem Opfer auch einfach einen Bezoar in den Hals stopfen.’«

»Das würde Slughorn bestimmt amüsieren, und er würde dir trotzdem eine gute Note geben«, gluckste ich.

»Naja, es sind die praktischeren Lösungen, die uns später im Alltag am meisten helfen«, ergänzte Regulus.

»Und du hast wohl so viel Praxiserfahrung mit schwarzmagischen Gegenständen und den passenden Handschuhen?«, zeigte sich Quentin mittlerweile deutlicher genervt gegenüber dem Slytherin, der immerhin zwei Stufen unter ihm war und sich dafür fast etwas überheblich aufspielte.

Dieser sagte jedoch nichts mehr. Bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, wie er sich von innen auf die Wange biss. Und während Quentin das Schweigen als Rückzieher interpretierte und sich mit einem Kopfschütteln und hochgezogener Augenbraue wieder seinem Text widmete, ahnte ich, dass Regulus tatsächlich ein wenig mit schwarzer Magie zu tun haben könnte. Manchen altehrwürdigen Familien sagte man solche Interessen nach, und die Blacks würden möglicherweise in dieses Schema passten, selbst, wenn sich meine Mutmaßung auch auf Vorurteile gegenüber Slytherins stützte. Ja, sogar der Nachname würde gut zu schwarzmagischen Machenschaften passen. Ich sagte jedoch nichts und wechselte das Thema: »Apropos Slughorn, warst du in der Stunde dabei, als dieses arme Gryffindormädchen ihre halbe Bankreihe in die Luft gejagt hat?«

Regulus nickte und schien offensichtlich nicht zu wissen, ob er bei diesem Thema ernst bleiben oder grinsen sollte. »Ich saß eine Reihe weiter, und es hat einen gewaltigen Schlag getan. Ich konnte meinen Kessel nur mit Mühe davon abhalten, vom Tisch zu fallen. Was mir eine kleine Verbrennung eingebracht hat, aber die Gryffindor – Mila Jefferson – hat es natürlich ärger erwischt. Ihre Haare haben Feuer gefangen, und nachdem Slughorn durch das Klassenzimmer gerannt und ihr einen Kübel Froschlaich über den Kopf geschüttet hat, waren sie nur noch schulterlang.« Ich machte ein betroffenes Gesicht, konnte mir aber das Kichern über die Vorstellung einer überfroschlaichten eitlen Gryffindorschnepfe nicht verkneifen. Regulus verkniff sich wiederum nicht die genauere Ausführung ihrer entrüsteten Reaktion. Zugegeben, es war nicht Slughorns eleganteste Maßnahme, ihr den Kübel überzukippen, aber immer noch besser, als ihre Haare ganz loszuwerden, mal abgesehen von schwerwiegenderen Verbrennungen.

»Sie hat den Professor angekreischt, das war wirklich schmerzhaft in den Ohren«, fütterte Regulus mein Amüsement weiter und berichtete, dass sie wegen weiterem Demolieren und Umkippen der umstehenden Kessel und Zutatenbehältnisse auch noch eine Strafarbeit aufgebrummt bekommen hatte, zynischerweise einen Aufsatz über die Vorteile von kurzem Haar beim Zubereiten von Zaubertränken. Ich hielt mir den Bauch vor Lachen, warf aber bereits einen Blick zu Quentin, der sich nicht eingemischt und stattdessen versucht hatte, weiterzuarbeiten.

Schon kam die Schelte: »Könnt ihr vielleicht woanders lustige Geschichten austauschen? Ich lerne hier, falls ihr es vergessen habt, für die UTZ.«

»Ach, komm’ schon, fandest du es etwa nicht witzig?«, fragte ich ihn und wollte ihn leicht in den Arm kneifen, während Regulus seine abgelegte Tasche bereits wieder schulterte und das zuvor ausgesuchte Heft vom Tisch an sich nahm. Quentin zog seinen Arm zurück, bevor ich ihn auch nur berühren konnte, und bedachte mich mit einem verletzten Blick.

»Okay, dann lassen wir dich eben in Ruhe«, resignierte ich, packte meinen eigenen Krempel zusammen, hakte mich bei Regulus unter und verschwand mit ihm aus der Bibliothek an einen spaßkompatibleren Ort.

Die Gesellschaft von Regulus erwies sich immer mehr als äußerst angenehm. Vom mürrischen, bruderneidischen Slytherin wandelte sich mein Bild von ihm wie eine Fotografie im Entwicklungsbad zu dem eines nachdenklichen, gewitzten Freundes, mit dem ich wie auch mit Quentin meine Eindrücke und Gedanken teilen konnte. Mit Regulus’ merkwürdigen, grobschlächtigen Bekannten und Hausgenossen hatte ich dabei wenig zu tun – wir trafen uns meist, besonders nach Quentins nicht allzu angetanem Gebaren, ohne weitere Gesprächspartner. Es kam mir auch vor, als wäre dem Slytherin meine Anwesenheit lieber als die seiner anderen Freunde – als wären wir viel eher auf einer Wellenlänge. Und ich freute mich darüber. Wer ist schon ungern mit einem klugen, vornehm-charmanten und noch dazu ziemlich gut aussehenden Kerl befreundet?

Zugegebenermaßen war das aber nicht alles. Ich merkte, wie mir Regulus anders als Quentin ans Herz wuchs. Wie ich immer mehr meiner Zeit mit ihm verbringen wollte, bisweilen das Bedürfnis hatte, eng neben ihm zu sitzen und sogar eifersüchtig auf andere Mädchen wurde, mit denen er ein Wort wechselte (nicht, dass es unzählige Verehrerinnen gegeben hätte).

Was ich dabei nicht mitbekam, war eine andere Eifersucht, nämlich die Quentins. Ich übersah weitere ihrer winzigen Zeichen, oder setzte sie zumindest in den falschen Kontext, diese Stimmungsumschwünge, sobald Regulus auftauchte, die ungerechtfertigt giftigen Kommentare dem Slytherin und mir gegenüber … Und er war immerhin auch nicht der Kerl für offene Problemgespräche. So kam es wegen einer kleinen Dummheit zur unvermeidlichen Explosion.

Ich war nach der letzten Schulstunde mit Regulus am See spazieren gegangen, und wir hatten uns vor dem Abendessen noch kurz gemütlich in der Dämmerung ans Ufer setzen wollen. Der Maiwind wurde mit der schwindenden Sonnenwärme frischer, und höchst gentlemanlike legte mir Regulus deshalb seinen Umhang um, wobei er seine Hände noch einige Sekunden länger als unbedingt nötig auf meinen Schultern ruhen ließ.

In diesem Moment hörte ich rasche, stapfende Schritte von hinten und gleich darauf – ohne mich umgedreht zu haben – meinen Namen. So harsch, wie ihn nicht einmal Professor Kesselbrand hätte aussprechen können. Es war Quentin. An seiner Mimik war kaum ein Gefühl abzulesen, aber mit seinem im Wind wehenden Mantel und den verwuschelten Haaren wirkte sein Auftritt trotzdem dramatisch.

Während ich mich aufrappelte, Regulus’ Umhang noch an den Schultern, fiel mir siedend heiß ein, dass Quentin und ich uns in der Bibliothek verabredet hatten und er nun vergeblich auf mich gewartet haben musste. Wahrscheinlich war er sogar extra in den Gemeinschaftsraum gestiegen, um dort nach mir zu sehen, dann in die Große Halle, und nun … Ich entschuldigte mich zunächst beim fragend dreinblickenden Slytherin mit den haselnussbraunen Augen durch ein kurzes »Moment«, bevor ich meinem Hauskameraden entgegenging. »Quentin«, begann ich mit gerunzelter Stirn, »ich hab unser Treffen total vergessen, und …«

Doch er fuhr dazwischen, mit etwas, das so unerwartet kam, dass mein Unterkiefer herunterklappte: »Gut, von mir aus kannst du mit Sirius Black« – der Name kam ihm über die Lippen wie etwas, das er nicht einmal mit dem Zauberstab antippen würde – »rummachen, du kannst auch was mit seinem Brüderchen haben oder mei-net-we-gen auch mit allen beiden gleichzeitig – aber es wär’ nett, wenn ich auch noch was von deinem Leben mitkriege und nicht ständig versetzt werde, verdammt!«

Sofort schrillten in meinem Kopf mehrere Alarmglocken. Ich wusste, dass Regulus mitgehört haben musste (was bei Quentins Erwähnung von einem möglichen Verhältnis mit Sirius natürlich ganz und gar nicht vorteilhaft war), und dass bei meinem Freund aus Ravenclaw und mir etwas noch schiefer gelaufen war, als ich es mir ausgerechnet hatte. Doch wie sollte ich darauf reagieren?

»Mit Sirius?«, stammelte ich schließlich. »Mit dem hab ich vielleicht zwei Worte gewechselt, und ich war ewig nicht mehr wegen ihm mit dir im Unterricht.«

Quentin ging nicht darauf ein, dass ich stattdessen wegen ihm und den Kursinhalten meine Freistunden bei den Siebtklässlern verbracht hatte. »Zwei Worte, ja? Was war denn das mit der ‘süßen Ravenclaw’, hm?«

Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden bei dem ganzen Blut, das mir so plötzlich in den Kopf schoss. Wollte er mich absichtlich schlecht vor Regulus da stehen lassen? Und das, wo es gerade schon fast so etwas wie romantisch geworden ist, das erste Mal überhaupt für mich. Wütend wurde ich auf Quentin. »Wenn ich dir die Geschichte erzählt hätte, hättest du mich doch nur wieder wegen dem bisschen Herumgeschwärme lächerlich gemacht! Ich bin abends mal Sirius über den Weg gelaufen und hab’ etwas mitbekommen, was nicht für meine Augen bestimmt war.« Sollte ich ihm auch noch das Geheimnis erzählen? »Etwas, das mit seiner Clique zu tun hat. Und ich sollte ihm versprechen, dass ich nichts weitererzähle, mehr ist nicht vorgekommen.« Ich sog einmal scharf Luft ein. »Hättest dir ja denken können, dass er in seiner Art ein bisschen unnötig herumflirtet, oder?« Dummkopf, wollte ich am Liebsten hinzusetzen und verkniff es mir nur schwerlich. Wenigstens sah er ein bisschen betroffen aus. Doch ich musste ja auch noch zu meiner Entschuldigung kommen, da war es unvorteilhaft, ihn zu beleidigen.

»Es tut mir wirklich leid, dass ich dich heute vergessen habe, und dass ich nicht mehr so viel mit dir unternommen habe, mit deinen Prüfungen und allem. Aber ich … mag dich immer noch, und ich werde dich weiterhin über die wichtigen Sachen informieren, über die unwichtigen auch, wenn du nicht gerade im Stress bist.« Mit einem kurzen Blick über die Schulter, wo Regulus uns den Rücken zukehrte und so tat, als würde er nichts mitbekommen, fuhr ich fort: »Das wird zwar keine Parallelbeziehung mit den Blacks beinhalten …« – Augen zusammengekniffen und weiter: »Vielleicht werde ich noch was mit Regulus haben, vielleicht auch nicht. Du kriegst es mit, wenn du nicht ständig genervt guckst, sobald ich von sowas erzähle. Sonst kannst du’s vergessen.«

Noch etwas überwältigt von meinem Redeschwall, sagte erst einmal niemand etwas. Dann, ganz langsam, nickte Quentin. Längst war er zu seiner ursprünglichen ruhigen Verfassung zurückgekehrt und hatte den aufbrausenden Vulkangott gegen den normalen Ravenclaw (na gut, vielleicht noch mit ein paar pyromanen Avancen) eingetauscht. »Ich werde mich bemühen.« Nach einer weiteren kurzen Pause setzte er unvermittelt hinzu: »Abendessen?«

Ich seufzte, vorsichtig grinsend. War’s das schon? Hatte er verstanden? Und erreicht, was er wollte? Offensichtlich, denn sauer sah er nicht mehr aus. Für einen verbitterten, nachtragenden Kerl hatte ich ihn auch nicht gehalten. Also antwortete ich versöhnlich: »Gleich, ja?«

Auf dem Absatz wandte ich mich zu Regulus’ Rücken – sicher nicht weniger entzückend als der seines arroganten Bruders – um. Dafür, dass er den tauben Unbeteiligten spielte, saß er jedoch etwas zu steif im Gras. Naja, vielleicht ein Körperklammerfluch? »Ich glaube, ich muss mal eben nachfragen, ob er für die nächste Zeit geplant hat, mit mir rumzumachen, dann können wir essen gehen.« Oha, dachte ich über mich selbst, aber nach der Andeutung, wir könnten irgendwann mal etwas miteinander haben, würde ihn das sicher auch nicht mehr überraschen.

Vorsichtig erhob Regulus sich, als er hörte, wie ich mich wieder näherte, klatschte sich die Hose fahrig sauber und drehte sich zu mir um. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, und so war ich unsicher, ob ich nicht vielleicht doch etwas Falsches gesagt hatte. Das leichte Lächeln war von meinen Zügen verschwunden. Dann allerdings nahm er meine beiden Hände in die seinen, beugte sich ein wenig zu mir herunter und gab mir einen vorsichtigen Kuss auf die linke Wange. »Das mit dem Rummachen lässt sich verschieben, Maya«, sagte er, und ich merkte, wie er trotz Unsicherheit und Zurückhaltung versuchte, entspannt die Mundwinkel zu heben. »Lasst es euch schmecken, wir sehen uns später.«

Zum Ende dieses Frühlings war ich – wie außer mir nur ein weiteres Mädchen, das aber keinen seiner Witze verstanden hätte – verliebt in Regulus Black.

 

4 Antworten zu “Fanfiction

  1. Adrian

    8. Mai 2012 at 10:04

    Der Schnatz und der Schal sind dir besonders gut gelungen.
    Aber generell find ich das ganze sehr passend zur Geschichte und gut aussehend.

     
  2. Pik

    8. Mai 2012 at 19:35

    Dankeschön. (: Ja, die beiden sind auch meine präferierten Bilder, wobei der Schal auf den ersten Blick schon mit einer halb in Geschenkpapier gewickelten Katze verwechselt wurde. XD

     
  3. Birthe

    14. Dezember 2013 at 22:40

    Ich bin eben über Milas Challenge hierhergeflattert und hier hängengeblieben. Nun bin ich kein Harry-Potter-Fan (hab sogar nur bis zu Band 5 gelesen), aber – oooch, ist das eine schöne Geschichte! :-D

     
  4. Pik

    16. Dezember 2013 at 17:44

    Oh, das freut mich ja besonders! Vielen Dank, ich hab noch nicht viele Rückmeldungen zur Geschichte bekommen und Lob hört man sowieso gerne. ^_^

     

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